Sich taumelnd um die eigene Achse zu drehen, den Wind, die Geschwindigkeit spüren, jegliches Gefühl für Zeit und Raum zu verlieren, während man gleichzeitig völlig mit ihnen verschmilzt… Bewegung ist mehr als Fortbewegung, mehr als ein bloßer Gegensatz zum Stillstand. Sie bestimmt, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen und erleben, wie wir uns selbst in unserer Wirklichkeitserfahrung verorten.
Der Phänomenologe Henri Bergson (1859-1941) beschreibt Bewegung als Veränderung im Raum, die für uns mit unserem Zeitempfinden gleichbedeutend ist. Damit einher geht, dass die bewusste Wahrnehmung von Bewegung als fließender „Übergang von Ruhe zu Ruhe“ das Gefühl hervorruft, „den Zeitablauf irgendwie zu hemmen und die Zukunft schon im gegenwärtigen in der Hand zu halten.“
Dass die Erfahrung von Bewegung dabei ebenso hypnotisierend sein kann wie das Eintauchen in eine soghafte Materie, vermittelt uns Patrick Cierpka in seinen leuchtenden Momentaufnahmen, die uns wie magisch festhalten: Das Wogen eines Sees in der Dämmerung wie in „SPIRIT“ oder die rasante Drehbewegung eines Karussells wie in „TRAUMFÄNGER“ – die kräftigen Farben ziehen uns in ihren Bann und machen uns gleichzeitig die Einmaligkeit und Universalität dieser Empfindungen bewusst.
Momente in ihrer ganzen Dichte einzufangen und eben durch das Versinken darin unser Zeitempfinden in Frage zu stellen – dieses künstlerische Ziel setzt Patrick Cierpka um, indem er die vorübergleitende Realität wie einen photographischen Bewusstseinsstrom darstellt, der unseren „inneren Kinematographen“ in Bewegung setzt. Diese Momenterfahrung als schöpferischen Akt anzusehen, bedeutet, den Betrachter als Wahrnehmenden in eine aktive Position zu versetzten. Cierpka kreiert visuell-malerische Erlebnisse und spielt mit Überblendungen, um so unsere Fähigkeit zu fokussieren herauszufordern.
Das Erlebnis des Blinzelns beim direkten Blick ins blendende Sonnenlicht wie in „JETZTZEIT“ oder in dessen glitzernde Reflexionen auf dem Wasser in „MEDIUM (S)“ wirkt fast wie eine Überbelichtung unserer Wahrnehmung, entmaterialisiert durch das gleißende Weiß, das unseren Blick gefangen hält. Es entsteht eine Art Nachbild, sowohl visuell als auch in unserer Erfahrung, in dem der Moment verharrt, während sich um uns herum alles weiterbewegt. Das Zusammenspiel des Lichts und der intensiven satten Farben ermöglichen eine Art konzentrierte Naturerfahrung. Die malerisch suggerierte Unschärfe lässt eine Mehrschichtigkeit der Erfahrungen zu, bei der sich verschiedene Impressionen überlagern und Konturen ineinander übergehen. Diese Übergänge verlängern den Schwebezustand des Blickes noch weiter und verleihen den festgehaltenen Momenten eine bemerkenswerte Dauer und Tiefe, die uns mit ihnen verschmelzen lassen.
Patrick Cierpka gelingt es, durch gegenständliche Elemente und Anspielungen auf universelle Erfahrungen und Empfindungen persönliche Erinnerungen in uns zu wecken und gleichzeitig durch abstrakte Farbimpressionen in unserer Phantasie ganz verschiedene Assoziationen hervorzurufen. So kreiert der Künstler visuelle Erlebnisse, die unseren Blick einfangen und uns immer tiefer in ihren Bann ziehen, bis die Zeit ganz still zu stehen scheint.
Text: Sabine Mehnert