MORITZ SCHLEIME
TEXTE (AUSWAHL)
Painters Corner
14. September–2. November 2019 | Jarmuschek + Partner
Der Künstler blickt aus seiner Ecke hervor, er steht auf seiner vertrauten Position und versteht die Welt aus dem Fenster seiner Perspektive. Von diesem Punkt aus ist alles doppelgesichtig, es gibt keine einseitigen Wahrheiten: Jede Aussage trifft auf ihr Gegenteil. So stoßen in Moritz Schleimes Werken die lähmende Resignation eines Vereinsamten auf die überschleunigte Lautstärke bunter Massen, eine triste Farblosigkeit auf ausgelassene Festlichkeit, posthumane Monsterkreaturen auf menschliche Emotionen.
Auch die Form seiner Ausdrucksweise ist eng an dieses System der Ambivalenz gebunden: Sein Stil lässt sich weder dem Expressionismus noch dem Surrealismus zuordnen, auch nicht Dada oder dem Realismus. Vielmehr spielt Schleimes individuelle Bildsprache nach ihren eigenen Regeln, ihre einzige Konstante ist die Verwandlung in ihrer Labilität und jugendlichen Unsicherheit.
Die permanente Bewegung und Dynamik lassen uns in seinen Werken Räume durchschreiten und diese im Prozess des Wandels wahrnehmen: Vor uns klafft die provokative, unpersönliche Distanz zwischen den identitätssuchenden Protagonisten. Wir betrachten den scheinbaren Widerspruch zwischen Zivilisation und Wildnis, zwischen Kultur und Natur. Die Spannungsfelder von Raum und Zeit zwischen Leben und Vergehen, rauschhafter Ekstase und Degeneration, Geburt und Zerstörung schieben sich übereinander.
Schleimes rebellische Respektlosigkeit gegenüber tradierten Stilen und eingebürgerten Kategorien zeigt sich in seiner Unterwanderung der massenbegeisternden, amerikanisch-westlichen Popkultur. Ikonen wie Michael Jackson sind Sinnbilder für eine überstimulierte, maskierte und ängstliche Generation in ihrer assimilierten und nie enden wollenden Adoleszenz. Eine giftige Vermengung des ungeschützten Innenraums der von Medien durchtränkten Privatsphäre und der persönlichen Präsentation im sozialen Umfeld, dem gesellschaftlichen Außenraum.
Seine Kunst ist nicht gefällig. Sie ist aufmerksamkeitsheischend, aufrüttelnd, aggressiv.
Sie kann vieles, nur eines nicht: den Betrachter in seiner Ecke unberührt lassen.
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The Virgin Suicides
17. Sept.–15. Okt. 2016 | Jarmuschek+Partner
Moritz Schleime malt unsere Welt als Universum der Gegensätze, bei dem Schrilles und Lautes stets hautnah an Subtil-Emotionalem, an zarter Freude und tiefem Schmerz ist. Aufrührerische Sprengkraft, Gesellschaftskritik und traumartige Absurditäten sind in seinen Bildern ebenso zu finden wie Romantik, Hoffnung, rauschhafte Zustände, selbstzerstörerische Aggressionen oder abgrundtiefe Ernüchterung - oft gepaart mit einer großen Menge schwarzen Humors.
Seine neuesten Werke präsentiert der Künstler unter dem Titel „The Virgin Suicides“. Ignoranz, Gefühlskälte, Perspektivlosigkeit und Tristesse werden nicht nur den Protagonistinnen des gleichnamigen Romans von Jeffrey Eugenides zum Verhängnis – es sind auch seit jeher diejenigen Abgründe, in welche die Figuren in Moritz Schleimes Gemälden blicken. Genau hier, mit dem Fehlen wechselseitiger Verantwortung und des Verständnisses füreinander, offenbart sich wohl die Anfälligkeit unseres sozialen Gefüges. So scheinen denn auch bei Moritz Schleime die Suche nach dem Sinn und die Mittel der Verdrängung in Personalunion nebeneinander auf einem Autodach zu liegen und in idyllischer Umgebung von expressiver Farbigkeit auszunüchtern. „Hangover, best friend“. Wie laut kann ein menschenleerer Strand sein?
Auflehnung, Übermut und Anti-Kultur haben Moritz Schleimes Figuren also auch jetzt nicht vollends abgelegt, doch zu solchen gesellen sich nun jene mit Krawatte, Pfeife und Hut. Biederkeit, Damenhaftigkeit und Business-Chic begegnen dem Betrachter ebenso wie der große Hollywood-Auftritt und das landschaftliche Idyll. Sie führen ihn mitunter in eine maskenhaft-schillernde Welt des Erwachsenseins inmitten von Geborgenheit, Aussteigertum, glanzvoller Individualität, Verlorenheit und melancholischer Einsamkeit. Mondäne Wohnzimmer mit Designer-Möbeln, romantische Begegnungen auf Waldlichtungen und geheimnisvolle Porträts bleiben dabei stets ambivalent und lassen unseren Gedanken freien Lauf. Changierend zwischen Zivilisation und Wildnis, Zartheit und Rauheit, Lebhaftem und Morbidem überlassen sie es dem Betrachter, sich mitsamt seiner Weltsicht zu positionieren.
Moritz Schleime bedient sich der Bildsprache verschiedener Epochen der Kunstgeschichte und schafft daraus eine eigene Form, in der Surrealismus, Expressionismus, Dada und Realismus gleichermaßen ihren Platz finden. Ganz nah an der aktuellen Gegenwart vermittelt er bereits eine Ahnung davon, wie das ambivalente Gefühl unserer Zeit später einzuordnen sein könnte: Ein Chronist des Chronisch-Labilen.
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DER HIMMEL UND DIE HÖLLE VON BERLIN von Ingeborg Ruthe
Berliner Zeitung vom 05.11.12
Berlin -So sieht er aus, der neue, junge Berliner Realismus: eine große Portion Dada, eine heftige Prise Expressionismus, eine Farbbüchse voll Kritischem Realismus aus den 60er Jahren – und dazu eine Menge abgedrehter, kindsköpfiger, surrealer und sarkastischer Fantasie, die aus einem Durchschnittstypen einen Dämon macht.
Berlin bei Nacht, das heißt im Falle dieses „Dark Man Funky Blues“, dass er in seinem Ausnahmezustand mit Alkopop-Flaschen um sich schmeißt. Dabei lässt der Maler Moritz Schleime ihn aus einem Sternenhimmel erst in eine schweflige Pfütze und dann ins Geröll springen. Dabei verformen sich dem Mann die Hosenbeine über den Turnschuhen zu Ziehharmonikas, sein Gesicht wird zur Geisterfratze. Der Kerl hat von allem zu viel intus: zu viel Alkohol und anderes Drogenzeugs, zu viel dröhnende Musik. Zuviel dummes Gequatsche. Zuviel Aussichtslosigkeit.
Und so erlebt die tragische Nachtgestalt Himmel und Hölle zugleich. Das mit Ölfarben gemalte Bild ist eines von vielen in der Ausstellung bei Wendt-Friedmann mit dem schwurbeligen Titel „Cocakieke“. Und wieder mal macht der Maler Moritz Schleime, der seit Jahren das Dasein und den Sinn des Künstlertums an sich studiert und daraus schaurig-schöne, herzerweichende und ziemlich nachdenkenswerte Kunst macht, eine unverblümte Aussage darüber, was das Leben eines Künstlers in Berlin so ausmacht: die hochfliegenden Träume – und dann eben die Wirklichkeit, die zwar auch Taugenichtse irgendwie durchkommen lässt, aber nur wenigen Kreativen echten Erfolg verschafft.
Bodenlos besoffen und ziellos im Raum
Schwarzer Humor und Pop-Art-Persiflagen, das Vertrackte, Komische, Unverständliche und Nicht-Änderbare sind in einem Bild wie diesem auf die Spitze getrieben. Spaß und Verzweiflung hat der Maler böse, zugleich anrührend verwurstet. Es sei das Thema Schwerelosigkeit, das ihn intensiv beschäftige, sagt Schleime. Damit aber meint der 1974 geborene Sohn einer bekannten Berliner Malerin, der an der Kunsthochschule Weißensee studierte, das Phänomen kaum im wissenschaftlichen Sinne. Seine schwebenden Gestalten erforschen nicht das Weltall, sie hängen bodenlos besoffen, ziellos im Raum, drohen, sich in Luft aufzulösen. Nicht romantisch, poetisch, traumtänzerisch, wie einst in den Bildern Chagalls, sondern desillusioniert und mit der Wut der Gleichgültigen.
Moritz Schleime versetzt seine Figuren, diesen Masken-Mann, der den Großstadt-Blues erlebt, in einen Zustand, der zum Gleichnis wird für eine gesellschaftliche Situation, eine bröckelnde, den Einzelnen isolierende Gesellschaft, „in der jeder seine Nische (Szene) gefunden“ habe „und dort tapfer vor sich hin leidet“, wie Schleime bemerkt. Sein sarkastischer Empirismus indes bedient sich einer Freiheit und aggressiven Farblust, die wissen lässt, dass dieser Maler sich mitnichten vom totalen Berlin-Blues – wie sein Protagonist auf dem Bild – in die Tiefe reißen lassen wird.
Galerie Wendt+Friedmann
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Greg Lindquist über Moritz Schleime
Moritz Schleimes Malerei bewegt sich in Regionen entarteter Popkultur – in einer Welt, in der Monster, Hipster, Comic Helden und andere Protagonisten der Popkultur zusammenkommen. Obwohl Schleimes Werke den Anschein erwecken, von amerikanischen Säulen, wie Slash, Michael Jackson und Oscar the Grouch, getragen zu werden, so äußern sie sich dennoch in einer charakteristisch deutschen Weise. Seine Werke lehnen sich an einer Reihe Künstler der Leipziger Schule an, beispielsweise an Neo Rauchs surreale und unbestimmt wirkende Narrativität oder Daniel Richters gespritzte und gekleckerte Malerei. Seine Generation bestimmt eine neue Welle der Leipziger Schule – Künstler, welche beispielsweise Die DDR nur im Kindesalter erlebt haben.
Schleime nutzt DDR Comics, dessen ursprünglicher Zweck das erleichterte Näherbringen der sozialistischen Werte an Kinder war, als eine Art narrative Struktur für seine Malerei. Im Alter von 6 Jahren verließ Schleime Ostberlin und kam in Westdeutschland zum ersten Mal mit westlicher Popkultur in Berührung. Zufällig erleidet der 25-jährige Michael Jackson im selben Jahr im Zuge einer Pepsi Werbung mehrfache Verbrennungen durch Feuerwerkskörper – ein Ereignis, welches später als der Anfang vom Ende in der Geschichte des Pop bezeichnet wird. Ebenso im selben Jahr erscheint Jacksons Album „Thriller“ im Guinness Buch der Rekorde als bestverkaufte Platte aller Zeiten. Für Schleime repräsentiert Jackson ein Symbol seiner Generation, die laut ihm „sexbesessen, hirntot und verrückt“ sei. So erinnern Schleimes bösartige, dennoch stilvoll-modische, abscheuliche Kreaturen an jene monsterartigen Kreaturen in Michael Jacksons „Thriller“ Musikvideo.
Kurz nach dessen Tod, bezeichnet Schleime seine Jackson-bezogenen Kommentare selbst als Sarkasmus und gibt zu, schon immer ein Bewunderer Jacksons Magie gewesen zu sein – die Ambivalenz unserer Gesellschaft gegenüber ihren Helden, welche sich auch in Schleimes Arbeiten reflektiert. Die Jackson-Geschichte spiegelt zum größten Teil eine Verantwortlichkeit wieder – sowohl persönlich als auch kulturell gesehen. Kontinuierlich flutet Jackson die Medien und lässt die Musikindustrie explodieren – man kann sich fragen, welche Inhalte noch zu Tage kommen werden, die unser Verständnis voran bringen könnten. Wer oder was ist verantwortlich für die Lücke, welche er in Ruhm und Erfolg hinterlässt? Und wer genau war diese Person eigentlich? Hinter einer grotesken Maske, auffällig und dennoch verweigert, aus plastischer Chirurgie und Depigmentierung, bleibt ein verwirrter, zurückhaltender Mann – nostalgisch für eine sichere Kindheit in Privatsphäre, welche er selbst so nie erleben durfte. All dies sollte man in Betracht ziehen beim Anblick einer Kultur, welche die oft unzureichend begründeten und impulsiven Handlungen des Privatlebens gleichzeitigt ermutigt und verachtet.
Obgleich Kurt Cobain in keinem von Schleimes Werken explizite Darstellung findet, so lässt doch Nirvanas Quintessenz von jugendlicher Angst, Wut und dessen anschließender Kommerzialisierung grüßen. Als 1989 die Berliner Mauer fiel, existierte Nirvana als Band seit zwei Jahren und bereitete ihr zweites Album „Nevermind“ vor. Schleimes rebellische Bilderwelt, ob nostalgisch wie ein altmodischer Ghettoblaster und DDR-typische Comic Helden, oder langlebiger wie Klo Graffitis, Totenköpfe und Nietenwesten, zeigt, dass auch die roheste, gegenkulturell-trotzigste Aktion, Klamotte oder Dekoration, mühelos vermarktet und kommerzialisiert werden kann. Die Kombination aus Zeitschrift und Malerei erklärt sich fast von selbst.
Betrachtet man Schleimes Arbeiten, fallen drei Werke besonders ins Auge: „Bigmouse“ (2008), „Bigmouse2“ (2009) und „Asso Rock“ (2009). Diese Malereien fangen deutlich die rohe, jugendliche Gefühlswelt aus Wut, Trotz und Identitätsfindung ein. Schleimes grobe und lockere Technik unterstützt wechselwirkend diese emotionale Ebene. In „Bigmouse2“ gelingt es Schleime eine Figur (eine Art haariger, mausartiger Hipster oder Hipster Maus, ganz im Auge des Betrachters gelegen) in provokativer und dennoch lässiger Pose zu zeigen. Obwohl nicht gleich vulgär-verlockend wie eine American Apparel Werbekampagne, so steht doch die mit Graffitis übersäte Wand, unter anderem bestehend aus Firmen- und Indie Band Logos, im gleichen Zusammenhang mit der verworrenen Unordnung unserer Jugendkultur.
Die Hauptaussage mag verschlüsselt oder mehrfach verändert worden sein, gleiche Trends sich wiederholt haben – zurück bleibt eine Richtung: die kulturelle Entropie (Maß der Unordnung). Dies mag der wahre Gegenstand in Schleimes Malerei sein.
Ist es die Herausforderung der Malerei, die, durch kontextuelle Hindernisse des Mediums, verlorengegangene Wirksamkeit der Aussage zu überwinden? Selbige Frage mag vielleicht auch Nirvana nach dem Erfolg von „Nevermind“ geplagt haben – einem Album, das wütend-verunsicherte und angsterfüllte Emotionen in einer attraktiven Hülle aus Pop und Empfindsamkeit verpackte. Kurt Cobain, sehr zwiegespalten zu dieser Kritik stehend, suchte sich eine weniger akkurate Produktionsfirma für das darauf folgende Album, zum Teil um sich von dem Mainstream Teenager Publikum zu entfernen, welches er verachtete. Während der Aufnahme von „In Utero“ allerdings quälten ihn Bedenken bei der Produktion seiner hochpräzisierten Songwritings und er ließ mehrere Songs überarbeiten und korrigieren. An diesem Punkt jedoch konnte Nirvana ihrer kulturellen Fügung als die Wortführer der Generation X nicht mehr entkommen.
Schleimes Werk „Asso Rock“ stellt ein Mädchen dar, gekleidet in Leggings und Kapuzenpullover, dem Betrachter bedrohlich den Mittelfinger zeigend. An selbigem Finger trägt sie einen Totenkopfring, in dessen Augenhöhlen sich Amerikanische Dollarnoten zeigen. Das Kapuzenshirt mag sowohl ein Merkmal für Antikultur und Identitätsverbergung, als auch Indiz für Anonymität, Rätselhaftigkeit, Bedrohung, Wut und Zorn sein.
Es wird interessant sein, zu sehen, wie sich Schleimes Malerei in Zukunft entwickelt. Während Jackson und Cobain intensive Rückläufigkeit erfahren haben, so legt Schleime Wert darauf, dass die Pop- und Antikultur unserer Jugend sich nicht nur angepasst hat, sondern auch fortwährend in einer Marktlücke geleckter und gebündelter Angst existieren wird. Falls junge, hippe Berliner in etwa so sind wie die jungen Bewohner Williamsburgs oder Brooklyns, ist doch eines klar: Hipstertum und viel wichtiger dessen Vorläufer, wie Pubertät, Mode und Trends, sind kurzlebig. Antikultur wird sich entwickeln, sowohl innerhalb als auch außerhalb kommerzieller Grenzen, und dennoch unendliche Tode sterben.
Greg Lindquist, for Beautiful/Decay, Book 2, Los Angeles, 2009, frei übersetzt von Jule Schmidtke
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